SCHWANGERSCHAFTS-VORSORGE ODER ÜBERSORGE?
- 21. Nov. 2020
- 14 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Mai 2021
In kaum einem Land wird Schwangerenvorsorge so zelebriert wie in Deutschland. Selbst unsere holländischen Nachbarn haben ein kmplett anderes System in der Versorgung von Schwangeren, sehr inspirierend.

Doch was bedeutet Schwangerenvorsorge und wer gibt diese vor?
Hier nutze ich im Folgenden frei zugängliche und offizielle Quellen, um einen Überblick im Vorsorge-Dschungel geben zu können. Leitlinien, Leitlinien…und oh…noch eine Leitlinie. In Deutschland sind wir die Normen ja in allen Bereichen gewohnt und häufig, nicht immer, geben sie einen guten Rahmen der nicht missinterpretiert werden kann.
Doch wer setzt sich schon hin und schaut sich das im privaten an? Schaut man nicht viel mehr darauf wie andere das machen oder fügt sich den Empfehlungen, die einem angediehen werden?
Nicht selten erlebe ich Schwangere welche zur Kontrolle nach Terminüberschreitung in die Klinik kommen. Im Zuge der Aufnahme frage ich gerne nach: Hat man Ihnen denn schon einmal erklärt was genau wir auf einem CTG sehen und beurteilen? Wissen Sie was im Mutterpass alles dokumentiert ist und wofür die Abkürzungen stehen? Ich möchte nicht übertreiben, jedoch ist in den meisten Fällen die Antwort „Nein.“
In meiner freiberuflichen Betreuung ist es mir wichtig die Familien früh kennenzulernen und u.a. auf diese wichtigen Aspekte einzugehen. Von Beginn an erkläre ich nicht nur warum ICH etwas bestimmtes wissen und untersuchen möchte sondern auch was es mit den externen Untersuchungen und Eintragungen im Mutterpass auf sich hat.
Lassen Sie uns eine Reise durch den Mutterpass machen…
Nehmen Sie nun gerne mal Ihren eigenen Mutterpass in die Hand oder klicken Sie auf folgenden Link:
Seiten 2 und 3 im Mutterpass
Diese Seiten sind geschaffen für den Eintrag Ihres behandelnden Gynäkologen/in und Ihrer Hebamme (seit der Akademisierung heißen auch männliche Geburtshelfer Hebamme). Außerdem finden Sie eine Spalte in welcher zukünftige Termine von Ihrem Gynäkologen/in und Ihrer Hebamme eingetragen werden können.
Nun sind wir schon beim ersten Thema, welches gerne mal Diskussionen aufkommen lässt und werdende Eltern verunsichern kann.
Leider kommt es immer noch vor, dass Fachärzte keine begleitende Betreuung einer Hebamme wünschen und den werdenden Eltern entweder die Fehlinformation zukommen lassen, dass dies auch gar nicht erlaubt sei oder auch, und das ist noch drastischer, dies schlichtweg nicht erwünscht ist und die Eltern sich zwischen Arzt und Hebamme entscheiden sollen oder die Arztpraxis wechseln müssen, sollten sie zusätzlich auch von einer Hebamme betreut werden.
Warum ist dies so?
Häufig geht es hierbei um den Verdienst. Lässt eine Frau die Vorsorge bei Ihrer Hebamme machen und wünscht sich nur die drei Ultraschalle bei Ihrem Arzt durchführen zu lassen, kann der Gynäkologe nicht das abrechnen was er sonst abrechnen könnte. Dies ist eine Regelung, die weder vom Arzt noch der Hebamme getroffen wurde. Pauschalbeträge können nur dann vollkommen abgerechnet werden, wenn bestimmte Untersuchungen stattgefunden haben. Dies soll nun keine Diskussionen lostreten…ich möchte Ihnen hiermit jedoch die Aufklärung darüber bieten, dass ausdrücklich gesetzlich erlaubt ist, sich sowohl von einem Facharzt als auch einer Hebamme betreuen zu lassen.
Platt ausgedrückt: Hier nimmt niemand dem anderen die Butter vom Brot!
Und es sollte selbstverständlich sein, dass eine schwangere Frau selbst entscheiden darf wie sie betreut werden möchte ohne dabei zu fürchten einen Teil der Betreuung zu verlieren. Um hier nochmal kurz Holland zu erwähnen: Hier findet die Vorsorge ausschließlich durch eine Hebamme und den Hausarzt statt. Nur in medizinisch notwendigen Fällen, wird eine Schwangere zu einem Facharzt oder Klinik verwiesen. Schwangerschaft und Geburt sind etwas völlig Natürliches. Der weibliche Körper und das Baby schaffen das!
Seiten 4 und 5 im Mutterpass Hier werden personenbezogene Daten der Schwangeren mit Angabe der Körpergröße und dem Gewicht angegeben.
Warum ist Körpergröße und Gewicht wichtig?
Übergewichtig zu sein, gäbe einen Anhaltspunkt darüber in welch körperlicher Verfassung die Schwangere aktuell ist und ob hierdurch ein Risiko eines Schwangerschaftsdiabetes gegeben sein könnte, aber vielmehr schaut man darauf wie sich die Gewichtszunahme anhand des Ausgangsgewichtes in der Schwangerschaft entwickelt.
Die regelrechte Gewichtszunahme beträgt ~12kg.
Bitte, liebe Frauen, betrachtet dies nicht mit Argusauge und seit gar erschrocken über die zusätzlichen Kilos. Das Gewicht liegt nicht nur auf Euren Hüften oder im Umfang als solches.
Blutvermehrung ~ 1,2L
Gewicht des Kindes ~ 3200-3600g (i.d.R.)
Gebärmutter mit Placenta (Mutterkuchen) und Fruchtwasser ~ 4 – 4,5kg
Wassereinlagerungen ~ 2 – 2,5kg
Auch die Brust kann in Vorbereitung auf das Stillen danach, sowohl an Umfang als auch Gewicht zunehmen.
Allein die Gebärmutter, die im nicht schwangeren Zustand etwa faustgroß ist und um die 100g wiegt, hat sich am Ende der Schwangerschaft auf etwa 1,2kg gemausert. Sie ist im Vergleich zum Ursprungszustand riesig geworden und die Gebärmutter-Wanddicke wächst um das 20fache. Danach folgen die Eintragungen über die Blutgruppe mit Rhesusfaktor. Man hat entweder einen positiven oder negativen Rhesusfaktor. B neg bedeutet also das Mama die Blutgruppe B mit negativem Rhesusfaktor hat.
Und wieso ist das so wichtig?
Hat Papa bsplsw. in seiner Blutgruppe einen positiven Rhesusfaktor, besteht die Möglichkeit, bei einer Genübertragung von 50-50, das das Baby im Bauch ebenfalls eine Blutgruppe mit einem positiven Rhesusfaktor haben kann. Der negative Rhesusfaktor der Mutter würde den positiven Rhesusfaktor des Kindes kaputt machen wollen. Dies geschieht allerdings nur dann, wenn sich das Blut des Babys mit dem Blut der Mutter vermischt und dies findet im Verlauf einer physiologisch verlaufenden Schwangerschaft nicht statt. Wenn dies aber doch passieren sollte durch eine leichte Blutung, dann würde der Körper von Mama Antikörper bilden, welche das Rhesus positive Blut des Kindes angreifen und vernichten können. Wie bereits erwähnt kommt dies seltener vor als man dies nun vermuten mag, doch es ist in jedem Fall wichtig eine Antikörperbildung zu verhindern. Somit werden einer Rhesus negativen Frau im Verlauf der Schwangerschaft bereits synthetisch hergestellte Antikörper gespritzt. Diese Antikörper werden hiermit extern dem Körper zugefügt, so dass das körpereigene Blutsystem der Mutter erst gar nicht auf die Idee kommen kann in diese Bildung zu gehen. Tut der Körper dies nämlich selbst, dann werden die körpereigenen Gedächtniszellen dies immer in ihrem Repertoir behalten und können somit vor allen Dingen bei einer zweiten Schwangerschaft direkt Antikörper aussenden, um das Blut des ungeborenen und Rhesus positiven Kindes anzugreifen. Es ist mit diesen Gedächtniszellen 1 zu 1 vergleichbar mit einer Infektion die wir im Laufe unseres Lebens haben.
Hat der Körper bsplsw. einmal die Masern gehabt, dann hat er im Idealfall währenddessen Antikörper gebildet die eine Folgeinfektion verhindern. Hat der Körper einmal Covid-19 durchlebt, ist die Wahrscheinlichkeit nach der Infektion wieder mit Covid-19 zu erkranken (das ist ja aktuell noch nicht 100% sicher) eher ausgeschlossen.
In der Schwangerschaft werden also sowohl Antikörper bestimmt als auch eine Rhesusprohylaxe durchgeführt.
Nach der Geburt wird Blut aus der Nabelschnur gewonnen, um es auf die aktuelle Blutgruppe des Kindes zu untersuchen. Nur wenn der Rhesusfaktor des Kindes dabei positiv ist, wird der Mutter eine weitere Rhesusprophylaxe gespritzt, da die Wahrscheinlichkeit von Blutvermischungen unter der Geburt zumindest wahrscheinlicher gegeben ist.
Nice to Know:
Eine Studie zeigte auf, dass die Rhesusprophylaxe in der Schwangerschaft bei einer von 287 Schwangeren hilfreich ist. Jetzt kann man vielleicht auch mit Recht fragen wieso man denn „pauschal“ Rhesus negativen Frauen eine Prophylaxe zukommen lässt, wenn es doch in den “meisten“ Fällen keinen wirklichen Effekt bringt! Zudem erhöht diese auch genannte Anti-D Prophylaxe den Risikofaktor für spätere Allergien, Infektionen oder auch eine Anämie.
Nun, hier liegt zu Grunde das auch „nur“ ein Rhesus geschädigtes Kind ein geschädigtes Kind zu viel ist. Jedoch, und dies ist nun ein Wandel und wird (endlich) zur kassenärztlichen Leistung erklärt, kann Laborchemisch in der Schwangerschaft der Rhesusfaktor des Kindes bestimmt werden, so dass man nur wenn wirklich nötig die eben beschriebene Rhesusprophylaxe gespritzt wird.
Nun kommen die Eintragungen der Untersuchungsergebnisse, die bei jeder Schwangeren erhoben werden:
Antikörpersuchtest und dies mehrmals (siehe Thematik Rhesusfaktor)
Chlamydien
Lues (Syphilis)
Röteln – Antikörper
Hepatitis B
All die oben erwähnten Untersuchungen, könnten bei einer Infektion in der Schwangerschaft negative Auswirkungen auf das Kind in seiner Entwicklung haben.
Die folgenden Seiten im Mutterpass kann man aufklappen.
Seiten 6 und 7 im Mutterpass
Hier werden vorangegangene Schwangerschaften dokumentiert und in welcher Schwangerschaftswoche ein Kind, mit angegebenen Gewicht, auf die Welt kam. Auch Fehlgeburten werden hier eingetragen und ob es dabei eine Ausschabung in Narkose gegeben hat oder nicht. Darunter findet der Aufklärungskatalog über die angegebenen Themen Platz. Hat die Hebamme oder Facharzt in diesen Themen beraten, wird dies dort dokumentiert.
Seite 7 zählt mögliche Risikofaktoren für die bestehende Schwangerschaft auf.
Hierbei möchte ich nicht auf die einzelnen Punkte eingehen, dafür ist es zu vielfältig und individuell. Außerdem bin ich persönlich auch nicht mit jedem Risikofaktor einverstanden und bespreche dies mit meinen Familien individuell bei begleitender Beratung, falls nötig.
CAVE: Ein Risiko ist KEINE Komplikation. Hier wird die Odds-Ratio betrachtet. Wie hoch ist die Eintrittswahrscheinlichkeit und welcher Schaden kann bei Eintritt entstehen?
Ein plastisches Beispiel: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit von einem Dachziegel erschlagen zu werden? Welche Risiken kann ich eindämmen? Diesen Risiken versucht man dann aus dem Weg zu gehen, im wahrsten Sinne des Wortes, oder versucht sie prophylaktisch zu „behandeln“…womöglich können diese Vorsichtsmaßnahmen dann aber zu anderen Risiken führen. Wenn ich aus Angst vom Dachziegel erschlagen zu werden an die Ostsee ziehe, weil dort selten Dachziegel verbaut sind, dann ist das Risiko bei starkem Wind von einem vorbeifliegenden Ast getroffen zu werden jedoch erhöht…
Ein, zugegeben extremes, aber sehr deutliches Beispiel aus der Geburtshilfe: Bei einer von mir betreuten Schwangeren, welche ihr zweites Kind erwartete, wurde das Risiko einer Gestose via bestimmter Untersuchungen als zu hoch eingestuft und sie bekam prophylaktisch Aspirin zur Blutverdünnung verschrieben, welches das Risiko eindämmen sollte. Leider bekam die Frau jedoch in einer zu frühen Schwangerschaftswoche eine andere Komplikation. Sie bekam eine Blutung und das Kind musste per Notkaiserschnitt auf die Welt geholt werden. Womöglich wäre dies mit oder ohne Aspirin geschehen und man weiß nicht wieso die Komplikation auftrat, aber durch die Einnahme von Aspirin haben Mutter und Kind viel Blut verloren. Beiden geht es heute sehr gut…es ist in diesem Akutfall alles richtig gelaufen. Doch die Komplikation dessen wäre geringer gewesen, hätte sie KEIN Aspirin zur Prophylaxe bekommen.
Seite 8 im Mutterpass
Aufgeklappt bietet Seite 8 weitere Risikofaktoren, welche die Schwangere selbst mitbringt. Bsplsw. eine Dauermedikation. Darunter hat die Hebamme oder der Facharzt den voraussichtlich errechneten Termin des Babys eingetragen.
Ja, auch die Hebamme kann den Termin berechnen und den Mutterpass ausstellen. Hierzu ist nicht zwingend ein Ultraschall zur Terminbestimmung notwendig. Eine Frau die Ihren Körper mit dem dazugehörigen Zyklus kennt und sich ebenfalls daran erinnern kann wann sie Geschlechtsverkehr hatte, ist ein besserer Ratgeber als dies ein Ultraschallgerät vermag.
Ja, ein Ultraschall ist hilfreich, jedoch sind die einzelnen Ultraschallbedingungen, die aktuelle Lage des Embryos, das Gerät in seinen Einstellungen und zuletzt auch das Geschick des Ausführenden eine Variable, welchen den Termin um ein paar Tage oder gar 1-2 Wochen schieben können. Der Termin kann, wie auf der Seite zu sehen ist, jedoch nochmals korrigiert werden beim 2. Ultraschall.
Wussten Sie das die Reifezeit eines Kindes um die 5 Wochen variieren kann? Ein errechneter Termin ist ein Richtwert, aber nur 4% aller Babys setzen eine Punktlandung.
Im Grunde sollte man einen Geburtszeitraum angeben. Mein Hebammenherz würde vor Freude hüpfen, wenn im Mutterpass stünde: Vorraussichtlicher Termin Januar 2021.
Ich persönlich denke das dies allen Beteiligten Druck nehmen würde. Die Eltern wären nicht auf einen Tag fixiert, in der Klink würde man nicht so schnell die Leitlinien von Interventionen auskramen.
Seite 9 und 10 im Mutterpass von links nach rechts mit Erläuterung:
Tag der Vorsorgeuntersuchung
Bis Dato errechnete Schwangerschaftswoche
Schwangerschaftswoche korrigiert, falls dies so sein sollte
Fundusstand -> wo ist der obere Rand der Gebärmutter zu tasten? N+2 steht bslsw. für 2 Querfinger oberhalb des Bauchnabels.
Kindslage -> QL=Querlage BEL= Beckenendlage SL= Schädellage
Herztöne des Kindes
Kindsbewegungen
Ödeme (Wassereinlagerungen im Körper) + oder –
Varizen (Krampfadern) + oder –
Gewicht der Mutter
Blutdruck (idealerweise nicht höher als 140/90)
Hb-Wert im Blut der Mutter (vereinfacht: die Blutmenge im Körper)
Urinuntersuchung (ist Eiweiß, Nitrit, Blut u./o. Leukozythen im Urin) dies kann Auskunft über einen Harnwegsinfekt geben oder auch ein Hinweis auf eine beginnende Schwangerschaftsvergiftung (Gestose) geben.
Vaginale Untersuchung -> hier möchte ich dazu ermutigen eine solche Untersuchung für sich zu hinterfragen. Wenn es keine bestehenden Anhaltspunkte/Risikofaktoren gibt, ist eine solche Untersuchung nicht nötig. Ohne Wehen wird sich der Muttermund i.d.R. nicht öffnen und es wird zu keiner Sturzgeburt kommen. Wieso also muss dann eine solch intime Untersuchung gemacht werden?!
Zudem ist es in einer Schwangerschaft nicht selten so, dass eine Frau zu einem Harnwegsinfekt (Blasenentzündung) oder auch vaginaler Pilzinfektion neigt, da die Scheidenflora durch die Schwangerschaftshormone nicht selten etwas trockener ist. Die natürliche Schutzbarriere der Schleimhaut gegen Bakterien kann somit vermindert sein. Hier ist eine vaginale Untersuchung nicht nur etwas unangenehmer sondern KANN auch einen Harnwegsinfekt begünstigen. Frauen die anfällig sind für einen solchen Infekt, wissen sicherlich wovon ich spreche.
Nummer aus dem Risikokatalog -> Stellt man einen Risikofaktor fest, der im Risikokatalog aufgeführt ist, wird hier die Ziffer dessen eingetragen. Oft bleibt diese Spalte jedoch unausgefüllt.
Notizen ->pH-Wert in der Scheide nach Abstrich, durchgeführte weitere Untersuchungen wie bsplsw. ß-Sreptokokken, Harmony-Test, Impfungen, Behandlungen, Medikamente, Besonderheiten… Ja, die Schrift ist nicht immer gut zu entziffern. Gerne setze ich mich mit meinen Familien zusammen um die Hyroglyphen zu entziffern und zu deuten. Es gibt dabei einige Abkürzungen, die dem Laien nicht bekannt sind und mit mir gemeinsam erörtert werden können.
Seite 11 im Mutterpass
Notiert durchgeführte CTG`s oder auch Krankenhausaufenthalte während der Schwangerschaft.
Seiten 12 und 13 im Mutterpass
Hier werden die Ultraschalluntersuchungen eingetragen. Auch hier bespreche ich mit meinen Familien die einzelnen Begrifflichkeiten. Wenn bei der zweiten Ultraschalluntersuchung bsplsw. VW steht, bezeichnet dies die Lage der Placenta, welche sich an der Vorderwand befindet. HW steht für Hinterwand.
Da die pdf-Datei die englische Version des Mutterpasses zeigt, findet man bei uns in Deutschland auf Seite 15 die Eintragung der Geburt.
->Datum, Geburtszeit und Geburtsmodus. Eingetragene körperliche Untersuchungen sowie die Angabe möglicher Geburtsverletzungen etc.
Diese Seite ist für die Hebamme beim ersten Wochenbettbesuch spannend. So kann sie auf Besonderheiten auch im Wochenbett schauen, was bsplsw. den Hb-Wert, Blutdruck, Geburtsverletzung etc. angeht. Am Wichtigsten ist mir hierbei jedoch, bevor ich Seite 15 aufschlage, das Gespräch mit den Eltern zu suchen. Wie wurde die Geburt erlebt, welche Fragen sind aufgekommen, wie geht es Mutter, Kind und dem frisch gebackenen Vater?! Die Werte im Mutterpass sind eine gute Unterstützung vor allem bei laborchemischen Fragen, jedoch ist die allumfassende Beurteilung durch den persönlichen Austausch, dem Körpergefühl der Frau und allem voran meinem erlernten Handwerk, durch kaum etwas anderes zu ersetzen.
Ich taste mit meinen Händen, was ein Arzt im Ultraschall bildgebend darstellt. Kindslage, Gewicht, Fruchtwassermenge, Herztöne des Babys hören (ohne technische Hilfsmittel) und das zeitgleiche Einschätzen von Handlungsbedarf, liegen in meinem Hebammenalltag.
Puh…ich könnte jetzt noch ewig weiter schreiben, denn es gibt noch die einzelnen Untersuchungen die derzeit allgegenwärtig angeboten werden. Doch dies würde den Rahmen weiter sprengen.
Als Fazit möchte ich eines auf den Weg geben:
Vertrauen Sie sich und Ihrem Körper. Werden Sie nicht ernst genommen oder sollten Sie Unsicherheiten haben, sprechen Sie dies direkt bei Ihrer Hebamme an. Und natürlich auch direkt bei Ihrem Facharzt.
Es sollte nichts geben oder gemacht werden, dass Sie nicht verstehen oder nachvollziehen können.
Es ist Ihr Körper und Ihr Baby!
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt, der mir in meiner alltäglichen Arbeit nahezu entgegen springt, ist die Betriebsblindheit und fehlende Empathie die auf allen Seiten vorhanden sein kann. Hier ist schon die Formulierung eines Satzes ausschlaggebend für eine schlaflose Nacht in Unruhe und Sorge.
Ein paar Beispiele, die zunächst simpel wirken:
Eine meiner Frauen kontaktierte mich und sendete mir zu Ihrer Nachricht ein aufgenommenes Video vom Ultraschall beim Frauenarztbesuch. Die Frau selbst befand sich in der 30+4 Schwangerschaftswoche. Noch gute 10 Wochen bis zur Geburt:
Während des Ultraschalls hörte ich folgenden Dialog:
„Der Kopf hat SCHON 29cm Umfang!“ Untermalt wurde dieser Satz mit einem untertönigen Raunen des Staunens.
Die Reaktion der Frau folgte daraufhin prompt mit: „Wirklich?! Ich hab doch gar nicht so viel gegessen! Ob das Baby aus mir raus schlüpfen kann?!“ Darauf reagierte der Arzt erstmal nicht. Er blieb ruhig und dennoch hat er es sich nicht nehmen lassen nach dem Ultraschall über die Möglichkeit einer Einleitung zu sprechen, sollte das Kind zu groß sein…
Ich konnte die Frau beruhigen und ihr alles erklären…relativieren was Sorge in Ihr auslöste…das das Kind mit seinem Kopfumfang nicht zu groß ist usw.
Was ich damit aber verdeutlichen möchte, ist das eine werdende Mutter extrem empfänglich sein kann für solche Aussagen. Sie geht sofort in den Modus das Kind schützen zu wollen…Ist noch eine weitere Untersuchung nötig die ich machen sollte? Sollte ich mich jetzt schon in der Klinik vorstellen? Bedeutet der Kopfumfang das ich einen Schwangerschaftsdiabetes bekomme? Bis hin zu: Hat mein Kind einen Wasserkopf und ist behindert? Nein…
Der Arzt schallt 15 Schwangere/Tag und hat womöglich seine Standardsätze entwickelt die in ihrer Formulierung für einen Laien nicht richtig einschätzbar sind. Manchmal möchte man sagen: „Hier ist das Köpfchen…sehen Sie….so messe ich das aus…ich sehe das das Kind prächtig entwickelt ist…es hat einen Kopfumfang von 29cm…wunderbar.“ Und raus kommt „Das Köpfchen ist SCHON 29cm“ Dies geschieht in den seltensten Fällen aus Boshaftigkeit…er/sie ist damit Betriebsblind und sieht die Frau nur in Momentaufnahmen.
Ein weiteres Beispiel aus meiner Berufslaufbahn:
„Sie müssen die Herztöne des Kindes heute Abend nochmal in der Klinik überprüfen lassen.“
Panik! Bis zum Abend ist es noch lang. Herztöne des Babys?!
Frau ruft im Kreißsaal an, um zu fragen wann sie denn erscheinen darf.
„Mein Arzt sagt ich soll heute Abend nochmal nach den Herztönen des Babys schauen lassen.“
Wäre es dringlich, würde der Arzt es nicht auf den Abend legen, jedoch frage ich nach:
„Können Sie mir denn sagen welche Auffälligkeit es gab?“
„Nein….er/sie sagte nur das das CTG anders aussieht als erwartet und das ich dies kontrollieren lassen sollte.“
„Hat ihr Arzt Ihnen denn eine Kopie vom CTG in der Praxis mitgegeben? Haben Sie etwas auf dem Überweisungsschein stehen?“
„Ehm…nein, keine Kopie…und die Überweisung…da steht nur eine Nummer drauf…Muss ich mir jetzt Sorgen machen? Soll ich direkt kommen? Was stimmt mit den Herztönen nicht?“
„Kein Problem…ich frage dies nur zur reinen Information. Wäre es dringend, hätte der Arzt Sie nicht beauftragt selbstständig zu uns zu kommen. War das Baby denn ganz aktiv im Bauch während des CTG`s das womöglich sehr laut gestellt war?“
„Ja…die Arzthelferin hat gesagt das sie es etwas lauter stellt, damit sie die Herztöne auch draußen hören kann…“
„Dann habe ich schon eine starke Vermutung: Babys mögen es nicht so laut…gleichzeitig drücken da so Knäufe auf den Bauch…das Kind fängt an sich bemerkbar zu machen und strampelt, möchte sich vom Knauf wegdrehen…“
„Ja, mein Baby mag das CTG nicht. Es ist immer schwer es einzufangen.“
Dabei kam die Frau wieder ins Lächeln…
„Sehen Sie…und wenn man sich aufregt, dann steigt die Herzfrequenz. Und weil das Baby so zappelt, kann es eben auch mal sein, das die Herztöne auf dem Papier nicht ordentlich aufgezeichnet werden. Und weil eben die Aufzeichnung somit etwas wild aussieht, möchte der Arzt bestimmt einfach nochmal schauen lassen, wenn das Baby sich beruhigt hat. Und wenn Sie hier sind, dann stellen wir das CTG leiser und sie werden sehen, das alles in Ordnung ist. Was macht Ihr Baby denn gerade im Bauch? Bewegt es sich oder schläft es?“
Frau wird hellhörig und kommt das erste mal seit dem Praxisbesuch wieder in Ihre eigene Achtsamkeit und spürt nach…
„Gerade eben hat es mir in den Bauch geboxt…“
„Wunderbar! Ihr Baby sagt "Hallo Mama, hier bin ich." Es merkt das Sie aufgeregt sind und zeigt Ihnen das es ihm gut geht. Wir sehen uns dann heute Abend und versuchen das Baby nochmal zu interviewen.“
Diese Situationen kommen leider immer noch vor. Erst wird sie an die Klinik verwiesen und dann stellt die Hebamme auch noch so viele Fragen…
Für mich sind das Routinefragen, da auch ich hellhörig werde, wenn etwas mit den Herztönen „nicht stimmen“ sollte. Also versuche ich so viele Informationen wie möglich zu bekommen, tappe dabei aber ebenfalls erstmal in die Falle, der Frau weitere Sorgen zu machen, da sie zunächst gestresst davon ist auf die Fragen keine Antwort zu kennen. In Anbetracht dessen, dass es um das Wohl des Kindes gehen könnte, ist die Anspannung greifbar in der Leitung.
M.E. darf ein Arzt (generell Personal aus dem medizinischen Bereich) nicht von einer Frau erwarten die relevanten Informationen auch richtig weiterzuleiten. Eine vorab telefonische Ankündigung des niedergelassenen Arztes und/oder eine Kopie des CTG`s sind m.E. nicht nur sehr vorteilhaft für alle Gemüter, sondern ein kleines aber sehr relevantes Detail um Stress und Sorgen zu minimieren.
In einem Moment, wo etwas nicht ganz zu stimmen scheint, geht unser Gehirn auf Alarmmodus und die Aufnahmefähigkeit von Informationen ist vermindert oder gänzlich blockiert. Möglicherweise hat der Arzt ihr auch gesagt was war, aber die Frau war schon in Alarmbereitschaft. Die 100 Gedanken in ihrem Kopf haben die Gehörgange ein wenig verstopft. Vollkommen normal.
Und wieso erwähne ich "Überversorgung" in der Überschrift?
Machen wir uns jetzt nichts vor. Wir sind hier überversorgt und übertherapiert. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Baby-TV kann in einem All in One-Paket gebucht werden, Blutuntersuchungen und Gentests bei völlig gesunden Frauen dennoch angeraten werden. Und die Mentalität tendiert auch genau in diese Richtung. Nicht nur medizinisches Personal stellt Möglichkeiten in Aussicht, sondern auch die Nachfrage dessen steigt. Unsere medizinische Versorgung ist im High-End-Level und 24/7 abrufbereit. Es wird genutzt. Ob nötig oder nicht.
Geht nicht auch ein bisschen weniger?
Ja. Das beste und aktuellste Beispiel ist Corona. Vielerorts wurden Untersuchungen zeitlich nach hinten geschoben oder bei fehlender Dringlichkeit ausgesetzt. Es wurde weniger untersucht bzw. nur dann untersucht, wenn es einen medizinischen Grund gab. Vieles bewegte sich ausschließlich den Richtlinien entsprechend und seit die Väter nicht mehr mit zum Frauenarzt dürfen, wird auf Baby-TV mehr verzichtet. Auch in der Klinik wurde es viel ruhiger. Wegen einem, und ich überspitze dies hier nun bewusst, Ziepen, wurde nicht direkt die Ambulanz aufgesucht. Zu viel zu untersuchen, bringt mehr scheinbare Komplikationen mit sich als man zu glauben vermag. An zwei Kliniken in Stuttgart gemessen, gab es sage und schreibe 50% weniger Frühgeburten, verglichen anhand der Vorjahreszahlen. Es wird mittlerweile mehr der Technik geglaubt. Würde man ein Baby in der Schwangerschaft 24/7 CTG überwachen, gäbe es mit Sicherheit mehr entdeckte „Komplikationen“ die zu einem Kaiserschnitt o.ä. führen würden.
Verstehen Sie mich nicht falsch, jeder entscheidet für sich selbst und in angemessener Beratung darüber welche Untersuchungen in welcher Häufigkeit von Nöten sind und ich möchte all die Technik auch nicht verteufeln. Bin ich auch froh das wir heute mehr Möglichkeit haben als jemals zuvor, als die Morbidität und Mortalität wesentlich höher war.
Nur ist das „ungesunde“ Sicherheitsbedürfnis grundsätzlich, und nicht nur auf die Schwangerschaft begrenzt, viel höher zu „damals“.
Heute werden bsplsw. nach der Geburt manche Babybetten mit Matratzenauflagen bestückt, welche die Atemfrequenz des Kindes messen. Stellt das Gerät fest, dass es eine Unregelmäßigkeit gibt, schlägt es Alarm. Dabei schrecken Eltern auf….rennen los…schalten das Licht an und auch wenn das Baby wach und strampelnd im Bettchen liegt, sieht es für die Eltern blau angelaufen aus. Das Gehirn ist hier wie oben erwähnt auf „Alarm“ gestellt. Leider, und das ist die Realität, schlagen diese Hilfsmittel schon Alarm, wenn ein LKW vor der Tür vorbei fährt und Vibrationen auslöst.
Es darf auch zunehmend auf die eigene, naturgegebene Intuition gehört werden.
Bewegt sich das Baby? Zu welchen Zeiten ist es wach? Wenn es nicht so strampelt wie gewohnt…hab ich schon versucht es mal wach zu kitzeln? Ich habe Kopfschmerzen und Unwohlsein -> habe ich heute genügend gegessen und getrunken? Usw.
Und sind sie sich nicht ganz sicher oder es begleitet Sie eine undefinierte Sorge, zögern Sie nicht Ihre Hebamme oder auch Ihren Facharzt zu konsultieren.
Zum Schluss, das möchte ich nicht vorenthalten das Beispiel, wie der Mutterpass 1985 ausgesehen hat.
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